Margarete Franz, unsere Namensgeberin
Eine Frau, die das gesamte 20. Jahrhundert erlebte, erlitt und bewältigte


Margarete Franz wurde am 1. August 1901 in Breslau in einen gut bürgerlichen Haushalt geboren, erlebte aber schon bewusst den 1. Weltkrieg mit anschließender Hungersnot im Steckrübenwinter. Im 2. Weltkrieg wurde sie vertrieben und musste nach abenteuerlicher Flucht in Niederbayern eine neue Existenz aufbauen.
1906 und 1914 hatte sie zwei Schwestern bekommen. Ihre Mutter starb schon 1918, so dass sie als Älteste ihren Vater unterstützen musste. So lernte sie schon früh, was es heißt, Verantwortung zu übernehmen und die eigenen Interessen zurückzustellen. Dabei hatte sie als Chefsekretärin in einer Brauerei einen Beruf, der sie forderte.
In der Zwischenkriegszeit tauchte eine wesentlich jüngere Frau auf, die ihren Vater, einen vermögenden Witwer, an sich zu binden verstand. Es wurde geheiratet, und Margarete erlebte zum ersten Mal, wie es ist, zurückstecken zu müssen, keine Rechte zu haben, einfach Platz zu machen. Doch das Glück währte nicht lange, die zweite Frau erkrankte schwer und starb bereits während des 2. Weltkriegs.
Inzwischen war Margaretes jüngere Schwester Elli, die als Fremdsprachenkorrespondentin an einer Werft in Flensburg arbeitete, bei Kriegsausbruch mit einem unehelichen Kind (heute: Elke Buchner) in die elterliche Wohnung zurückgekommen. Was für eine Schande für das bürgerliche Haus des Großvaters! Zuerst duldete er die Gegenwart seiner „gefallenen“ Tochter und ihres „Dergels“ nur im hintersten Zimmer der großen Wohnung - ohne die tatkräftige, heimliche Hilfe von Margarete („Tante Grete“) hätte das Kind wohl schon die ersten Kriegsjahre nicht überstanden.
Im Januar 1945, als die Flucht aus Schlesien schon bevorstand, starb der Vater und wurde schnell notbegraben, weil die Sirenen heulten. Margarete verließ Breslau zu Fuß mit einem kleinen Rucksack. Ihre Schwester konnte Breslau mit dem letzten Mutter-Kind-Zug verlassen. Hunger, Durst, Kälte und schreckliche sanitäre Zustände ließen die beiden halbtot in Löwenberg ankommen, wo wunderbarerweise Tante Grete am Bahnhof wartete. Niemand weiß, wie sie das bewerkstelligte.
Nach kurzer Rast - die Rote Armee rückte nach - ging es bei Außentemperaturen von minus 20 Grad weiter im ungeheizten, von außen versperrten Güterwagen nach Niederbayern, wo an jedem Halt ein Wagen des langen Zuges abgekoppelt wurde.
Die Schwester Elli hatte von der strapaziösen Flucht und dem Schmerz über die verlorene Heimat eine Autoimmunkrankheit bekommen und konnte weder für ihr fünfjähriges Kind noch für sich selbst sorgen. Obwohl Margarete bald nach dem Krieg ein Angebot von ihrem ehemaligen Chef aus der Brauerei erhalten hatte und nach Köln umziehen wollte, blieb sie bei der kranken Schwester und finanzierte mit ihrer bald gefundenen Stelle auch Mutter und Kind.
Zunächst arbeitete sie als Gemeindesekretärin, eine zur Zeit der Lebensmittelmarken manchmal lebensgefährliche Aufgabe, denn die Gemeindekanzlei lag in ersten Stock des Schulhauses, in dem Margarete allein saß und bis in die Nacht hinein die Marken zählte, bevor sie diese dann am nächsten Tag zu den weit entfernten Bauern brachte. Dies war nicht ungefährlich, da man unterwegs vor Überfällen oder sogar Mord nie sicher war, denn Lebensmittelmarken waren ein begehrtes Gut. Ihre unerschrockene Tatkraft, ihre Energie, ihre nichts fordernde, aber alles gebende Liebe haben das Leben ihrer Nichte geprägt.
Nach einigen Jahren Gemeindearbeit bekam sie eine Stelle in der Nachbarstadt, wo sie wiederum Chefsekretärin, dieses Mal in einer Schokoladenfabrik, wurde. Der Seniorchef achtete sie so hoch, dass er nur gemeinsam mit ihr aus der Firma ausscheiden wollte - so fing Margarete erst mit 71 Jahren ihren Ruhestand an.
Die mittlerweile bettlägerige Schwester benötigte intensive Pflege; vor und nach der Arbeit sowie später im Ruhestand kümmerte sich Margarete um ihre ältere Schwester, obwohl diese wegen ihrer Krankheit keine leichte Patientin war.
Darüber hinaus ermöglichte sie ihrer Nichte Elke Buchner nach dem Abitur ein Studium in München - eine Unmöglichkeit ohne „Tante Grete“!
Nachdem ihre Nichte geheiratet hatte, schaffte Tante Grete dem jungen Paar Freiräume und ermöglichte ihnen ein gemeinsames Leben. Auch die drei Kinder wurden sehr stark durch die selbstlose Art ihrer „Schokoladentante“ geprägt.
Margarete Franz, der gute Geist der Familie Buchner, verließ uns, wie sie immer war, still und ohne Aufsehen im Alter von 99 Jahren am 5. März 2000.